Was ist eigentlich gestern in den USA passiert – und wie nennen wir das?

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Was gestern in Washington vorgefallen ist, und was sich in diesem Jahr in den USA ereignet hat, ist mehr als schockierend. Und spricht man darüber, muss man sich entscheiden, wie man die weit verbreiteten Unruhen charakterisieren soll. Sind diese Ereignisse Demonstrationen, Aufstände, Rebellionen, Aufruhr, Krawalle? Waren die Menschen, die im vergangenen Sommer für Black Lives Matter (BLM) auf die Straße gingen, oder diejenigen, die gestern das Kapitol stürmten, Demonstranten oder ein Mob? Der jeweils gewählte Begriff sendet eine sehr unterschiedliche Botschaft über das, was auf den Straßen vor sich geht.

Während einer Rede im Rosengarten am 1. Juni benutzte Präsident Trump fünfmal das Wort „riots“ (Krawalle). Das ist ein belastetes Wort. Im Allgemeinen bezeichnet „riot“ die sinnlose Gewalt von Menschen, die jeden Bezug zur Vernunft verloren haben. In den USA hat der Begriff zudem rassistische Konnotationen. In den 1960er Jahren wurde das Wort „riots“ von Weißen als Waffe eingesetzt, um das Bild eines von Schwarzen in den Städten angerichteten sinnlosen Chaos zu beschwören. Das Wort half, die politische Dimension des Geschehens zu verbergen, einschließlich der sozioökonomischen Ungleichheiten, die den Unruhen vorausgingen.

Im Kontrast dazu suggerieren Worte wie Aufstand, Insurrektion oder Rebellion einen Kampf für Gerechtigkeit, eine berechtigte (oder gerechtfertigte) Antwort auf Unterdrückung, mit der Forderung nach systemischen Veränderungen. In seinen Kommentaren über die meist friedlichen BLM-Demonstranten beschwor Trump ein Amerika in den Fängen eines „wütenden Mobs“. Er nannte die Menschen in den Straßen „Plünderer, Kriminelle, Randalierer“, die „Akte des inländischen Terrors“ begingen. Er schwor, „Recht und Ordnung“ wiederherzustellen. „Recht und Ordnung“ ist wiederum spezifisch kodiert. Polizeimaßnahmen – selbst das Abfeuern von Gummigeschossen in eine Menschenmenge – werden oft als „Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung“ dargestellt. Die Logik dahinter: Aufruhr gilt als Unordnung, und deshalb muss die Reaktion darauf das Gegenteil sein.

Und dann gibt es noch die Anstiftung zum gewaltsamen Aufstand, das Anzetteln von Krawallen. Schon vor der Wahl hatten Trump und seine Unterstützer begonnen, die Legitimität der Wahl in den Augen seiner Anhänger zu unterwandern. Es wurde zuletzt in den Medien debattiert, ob Trump versucht, einen Putsch zu inszenieren. Am 6. Januar jedenfalls feuerte Trump seine Anhänger in einer Rallye am Weißen Haus an: „Ihr seid das wahre Volk“ und „Eure Stimmen werden nicht zum Schweigen gebracht werden, das werden wir nicht zulassen“. Er kündigte dann an, „wir“ würden nun die Meile zum Kapitol laufen. Dann zog die Menge los –und Trump ließ sie alleine gehen. Diesen Mob hatte Trump in jeder Hinsicht in der Hand: Er hatte die Menschen nach Washington eingeladen, sie aufgemischt, und nun hielt er sie zum Narren.

Beim Aufstand am 6. Januar wurden Senator Mitch McConnell und die anderen Senatoren und Abgeordneten sowie deren Mitarbeiter durch die Aufständischen aus ihren Arbeitsräumen im Kapitol vertrieben und in Sicherheit gebracht. Nach ihrer Rückkehr sagte McConnell, er werde sich nicht den „Schlägern“ und der „verstörten“ Meute beugen. Er sprach von einem „gescheiterten Aufstand“. Was er in seiner Rede nicht zugeben wollte, war, dass seine eigenen Wähler zu diesen Aufständischen gehörten. Mitt Romney – der einzige republikanische Senator, der im Jahr zuvor für die Anklage gegen Trump wegen Machtmissbrauchs im Amtsenthebungsverfahren gestimmt hatte – wurde konkreter: Er nannte den Mob im Kapitol „einen Aufstand, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angezettelt worden ist.“

Trumps Ermöglicher am rechten Rand mögen dies weiterhin als (legitimen) Protest verteidigen, aber es handelt sich um den Versuch, eine legitime Wahl umzustürzen. Der Mob wurde von Trump angestiftet. Unter normalen Umständen müsste man seine Aktionen als Verrat, und die Akteure Verräter einordnen. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, spricht von Volksverhetzung, d. h. von einem Verhalten oder einer Rede, die Menschen dazu anstiftet, sich gegen die Autorität des Staates aufzulehnen. Die Trump-Anhänger bereiten sich nun darauf vor, nachzulegen. Aber im Moment diskutiert der Kongress, ob Trump für die letzten 2 Wochen seiner Amtszeit für untauglich erklärt und seines Amtes enthoben werden soll – sein Kabinett müsste sich dafür auf den 25. Verfassungszusatz berufen. Wenn das nicht geschieht, hat Nancy Pelosi angekündigt, wird der Kongress Trump erneut anklagen.

In der gemeinsamen Kongress-Sitzung zur Annahme der Stimmen der Wahlmänner wurden viele gewichtige Reden geschwungen. Aber der Kongress ist weiterhin sehr gespalten. Vizepräsident Pence ist seit heute der Zugang zum Weißen Haus verwehrt. Präsident Trump wurde für seine Restamtszeit ein Twitter- und Facebook-Verbot auferlegt. Und der Aufruhr, oder Protest, oder Aufstand, oder Putsch, auf den Straßen und im Weißen Haus? Der Versuch der Exekutive, die Legislative auszuschalten? Das ist alles noch im Fluss.

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